Schulausflug – über das Nachwirken der NS-Zeit
An Menschen erinnern, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft diskriminiert, vertrieben und ermordet wurden, wird seit vielen Jahren am Alsergrund – auch aufgrund seiner Bezirksgeschichte – tatsächlich gelebt. Um auf die Nachwirkungen der Nazizeit aufmerksam zu machen, suchten wir im Rahmen von Film- und Diskussionsabenden mit den BewohnerInnen des Bezirks das Gespräch.
Ein erster Filmabend mit angeregter Diskussion fand Mitte Mai 2016 statt. Der Dokumentarfilm schulausflug, von Regisseur und Drehbuchautor Max Liebich, zeigt in 3 Sequenzen welche Eindrücke die Reise einer Maturaklasse nach Auschwitz und Auschwitz-Birkenau bei den SchülerInnen und LehrerInnen hinterlässt. Die Busfahrt wird filmisch eingefangen, zeigt die lockere Stimmung der Jugendlichen und geht über in die bedrückende Situation beim Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers. Die ZuschauerInnen der Doku werden anschließend Teil der Reflelxionsrunde sowie kleinerer Gesprächsrunden in denen das Erlebte auf sehr unterschiedliche Art und Weise aufgearbeitet wird.
Das Publikum fand die beobachtende Rolle des Filmzuschauers interessant. Einen großen Eindruck hinterließen auch der Wandel der Stimmung der ProtagonistInnen vor und nach dem Besuch, sowie die unterschiedlichen Methoden der Verarbeitung des Erlebten.
Liebe Geschichte
Es gibt von meinem Großvater ein Foto in Wehrmachtsuniform …“
Am 8. November 2016 zeigten wir den Film „Liebe Geschichte“ (2010) von Klub Zwei (Simone Bader und Jo Schmeiser) im Afro Asiatischen Institut mit anschließender Diskussion mit den Regisseurinnen. (Trailer)
Der Film thematisiert die Nachwirkungen des Nationalsozialismus und der Shoah im Leben der weiblichen Nachkommen von TäterInnen auf zwei Ebenen: Auf der privaten Ebene wird der familiären Verstrickung der weiblichen Nachkommen mit der Nazizeit nachgegangen, während auf der öffentlichen Ebene der Umgang der Politik mit dem Holocaust in der Zeit nach 1945 abgehandelt wird. Die Interviews mit den Nachkommen fanden auf öffentlichen Plätzen oder in öffentlichen Bauten statt. Dabei repräsentiert jeweils ein bestimmter Ort Wiens ein entsprechendes Jahrzehnt.
Die öffentliche Ebene wird durch einen einleitenden Kommentar für jedes Jahrzehnt erläutert, beginnend mit der These von Österreich als erstem Opfer Hitlers als Gründungsmythos der Zweiten Republik, wodurch die Beteiligung vieler ÖsterreicherInnen an den Verbrechen des Nationalsozialismus ausgeblendet wurde und wird. Es folgt die Darstellung des Werbens der sich formierenden Parteien um ehemalige Nazis – SPÖ, ÖVP und besonders VdU, die spätere FPÖ. In den 70er Jahren kam es um den FPÖ-Obmann und ehemaligen SS-Mann Friedrich Peter zu einem Konflikt zwischen Bundeskanzler Bruno Kreisky und Nazi-Jäger Simon Wiesenthal.
In den 80er Jahren markierte die Affäre Waldheim eine weitere Zäsur. Waldheim, der als Kandidat der ÖVP für das Amt des Bundespräsidenten seine Wehrmachtstätigkeit verschwiegen hatte, nahm dann dazu mit der Bemerkung Stellung, er habe nur seine Pflicht getan. Obwohl er die Wahl gewann, änderte dieser Konflikt bei vielen, insbesondere der jungen Generation, ihre Sicht auf die geschichtliche Verantwortung Österreichs. In den 90er Jahren gestand dann Franz Vranitzky die Mitverantwortung vieler ÖsterreicherInnen an den Naziverbrechen ein, was jedoch durch die schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000 abgeschwächt wurde.
Das Nachwirken der Nazizeit zeigt sich durch die Betroffenheit der weiblichen Nachkommen der TäterInnen. So wird für Jeanette Touissant ein alltäglicher Vorgang – die Buchstabierung ihres Namens – zum Problem: „Der Namen Toussaint hat zwei S in der Mitte und beim Buchstabieren des Namens, wenn jemand buchstabiert SS läuft es mir kalt den Rücken hinunter, ich sage immer Doppel-S, weil das SS darin deutet zu deutlich auf meinen Vater hin.“
Viele TäterInnen versuchen an die nächste Generation ihre Vorurteile z.B. gegen JüdInnen und Homosexuelle weiterzugeben.
Patricia Reschenbach: „Wir durften ‚Dalli, Dalli‘ nicht schauen, weil diese Fernsehsendung von einem Juden gemacht wurde. Mein Vater erwähnte „Bruno Kreisky“ und dann ging eine Schimpftirade los. … Seit erst ganz kurzem kann ich das Wort ‚Jude‘ bzw. ‚jüdisch‘ verwenden ohne dass es mich reißt, weil ich das zu Hause immer in einem antisemitischen Kontext gehört habe.“Für viele Nachkommen stellt auch das Schweigen der TäterInnen eine besondere Belastung dar.
Helga Hofbauer: „Das Nichtwissen war für mich der Ausgangspunkt meiner Recherche. Das Nichtwissen und das Schweigen sind die Volkskrankheit. Es wird geschwiegen über die Opfer und noch mehr über die Täter.“ Oft haben die Nachkommen zu durch ihre Taten in der Nazizeit belasteten Verwandten auch positive Gefühle. Das führt zu einer ambivalenten Haltung gegenüber diesen.
Katrin Himmler, die Großnichte von Heinrich Himmler: „Einer der schwierigsten Momente für mich – weil ich meine Großmutter noch gekannt habe im Gegensatz zu meinem Großvater und sie sehr gemocht habe, – war, als ich erfahren habe, dass sie noch 1950-51 mit inhaftierten Kriegsverbrechern Briefkontakt gehabt hat und ihnen kleine Packerln gesendet hat. Das war für mich sehr hart. Das zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren, dass das meine Großmutter gewesen ist.“
In der Diskussion sagten die Regisseurinnen, dass ihnen wichtig war, als Frauen Frauen zu interviewen: „Frauen reden mit Frauen anders als mit Männern!“ Außerdem haben sie bewusst Frauen ausgewählt, die sich bereits öffentlich zu ihrem Umgang mit dem Nationalsozialismus geäußert haben und die kritisch gegenüber diesem eingestellt waren.
Auf die Frage an die VeranstalterInnen, warum wir in der Zeit, in der der Opfer des Novemberpogroms gedacht wird, einen Film über die Nachkommen von TäterInnen zeigen, haben Barbara Sauer und Michael Landesmann geantwortet: „Es gibt keine Opfer ohne TäterInnen. Es ist ein Kennzeichen des Holocaust, dass er unter großer Beteiligung der Bevölkerung stattfand – man muss nur an die Plünderungen und Zerstörungen beim Novemberpogrom denken oder an die Bejubelung des Einmarsches von Hitler – es gab also viele TäterInnen.“
In der Dokumentation wurde wie mit einem Vergrößerungsglas auf Probleme eines Teilbereichs der Gesellschaft geschaut, die auch für die Gesamtgesellschaft relevant sind. Das macht Maria Pohn-Weidinger im Film sehr gut deutlich: „Ich bin überzeugt, dass das gesellschaftliche Verschweigen des Nationalsozialismus und die Entschuldigung über das Opfersein in ganz viele Bereiche einwirkt – auch auf uns als dritte Generation, die nicht unmittelbar beteiligt war. Auf die Auseinandersetzung mit Gewalt oder auch Gefühlen, es spielt so stark rein, unabhängig wie stark die Großeltern involviert waren oder nicht. Es ist wahrnehmbar, dass davon die Gesellschaft durchtränkt ist. Es gibt keine Familie, die davon nicht berührt ist.“
Die Verbrechen des Nationalsozialismus wirken bis in die Gegenwart nach. Deswegen ist eine Gedenkkultur, die an die Opfer erinnert und klar gegen Homophobie, Antisemitismus und Rassismus Stellung bezieht, heute und in Zukunft nach wie vor so wichtig.
Michael Landesmann